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Aufstand der liberalen Muslime


Eine neue Generation in der islamischen Gemeinschaft wendet sich gegen die Fundamentalisten, Terror gegen Andersgläubige und die Traditionsverbände. Und deren Schützenhilfe durch Linke

Foto: Deutschlandfunk.de

von Ludwig Greven

Dogan Günes wurde wie viele muslimische Kinder von seinem Vater in die Moschee und die Koranschule gezwungen. »Viele wenden sich später vom Islam ab«, sagt der 48-jährige Ludwigshafener Softwareberater. »Sie entwickeln durch den Zwang einen regelrechten Ekel vor der Religion.« Sie verabscheuen eine strikte Glaubenslehre, die ihre Freiheit einschränkt und die westliche, aufgeklärte Kultur verachtet, in der sie leben. Und sie verabscheuen Islamisten, die im Namen dieser Religion Andersgläubige und -lebende angreifen und töten – zuletzt vor einer Synagoge in Wien, den französischen Lehrer Samuel Paty, Betende in einer Kirche in Nizza, ein schwules Paar in Dresden.

Günes lernte im Kindergarten und in der Schule in Würzburg, wo er aufwuchs, auch die christliche Seite kennen. Für ihn ein Glück: »Sonst wäre ich heute nicht so offen. Ich habe kein negatives Bild vom Christentum.« Seit dreißig Jahren engagiert er sich für den christlich-muslimischen Dialog. »Wir treffen uns einmal im Monat mit Christen unter Leitung eines Pfarrers und eines Imams, lesen in der Bibel und dem Koran und sprechen darüber.« In Moscheen, die häufig von den aus Ankara gesteuerten türkischen Verbänden wie der Ditib oder radikalen Salafisten beherrscht werden, geht er nicht mehr. »Mit dem politischen Islam möchte ich nichts zu tun haben. Ob eine Muslima ein Kopftuch trägt, ist ihre Entscheidung. Ich halte es für heuchlerisch, wenn Vertreter der Verbände in Deutschland Kopftuchfreiheit fordern, während in den muslimischen Ländern Frauen und Mädchen unter den Schleier gezwungen werden.«

Fehlende Diskussion über den Glauben

Wie der aus der Türkei stammende Günes denken immer mehr vor allem jüngere Muslime der dritten und vierten Einwanderergeneration. Sie sehen sich als Teil der hiesigen Gesellschaft, sie schätzen die westlichen Werte und Lebensweise, nicht einen strengen Islam, den ihre Eltern und Großeltern aus ihren Heimatländern mitgebracht haben. Der Islam ist für sie vor allem eine kulturelle Tradition, keine Glaubenslehre, der sie strikt folgen – nicht anders als für viele, die christlich aufgewachsen sind. Und sie sind es leid, von den selbsterklärten Anführern der islamischen Gemeinschaften genauso wie von der deutschen Mehrheitsgesellschaft als Teil einer uniformen muslimischen Masse abgestempelt zu werden, die in Wirklichkeit viel differenzierter ist, als beide Seiten es wahrhaben wollen.

»Es gibt heftige Auseinandersetzungen innerhalb der muslimischen Community. Aber die werden von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen«, beklagt der in Köln geborene und lebende freie Journalist Eren Güvercin, der schon 2012 ein Buch über die »Neo-Muslime« schrieb. Güvercins Vater kam 1967 aus einem Dorf im Südosten der Türkei. »Er lebt traditionell. Ich verstehe mich anders, weil ich hier geprägt wurde«, sagt sein Sohn. In der muslimischen Gemeinschaft sei es unterentwickelt, sich mit der eigenen Religion auseinanderzusetzen. »Aber das gehört zum Glauben.« Die Verwerfungen hätten nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei zugenommen. Der von der türkischen Religionsbehörde gesteuerte und finanzierte Ditib-Verband und der zweite große Moscheeverband Milli Görus nähmen wahr, dass viele Jüngere mit Erdogans fataler Mischung aus extremem Nationalismus und Islamismus nichts zu tun haben wollten. »Umso aggressiver treten sie hier auf.«

Eine transsexuelle Muslima

Mit Gleichgesinnten gründete Güvercin vor drei Jahren die Alhambra-Gesellschaft, die sich der Versöhnung von Christen und Muslimen verschrieben hat. Sie veranstalten regelmäßig ein »muslimisches Quartett« in verschiedenen Städten, bei dem theologische und andere Fragen diskutiert werden. Vor einiger Zeit ging es um »Macht und Gender« – mit einer transsexuellen Muslima. »Im Publikum saßen auch viele traditionelle Muslime. Einige waren positiv überrascht. In der muslimischen Community gibt es einen großen Bedarf, über solche Fragen zu reden.« Die Vertreter des orthodoxen Islam sind nach seiner Ansicht glücklich über die Ablehnung durch die Mehrheit in Deutschland. »Sie brauchen das Feindbild. Dann müssen sie sich nicht verändern.« Verheerend sei ihre Botschaft, die bei vielen verfange und die auch Erdogan gepredigt habe bei seinen Besuchen in Deutschland, und die ja auch zum Teil zutreffe: »Du kannst machen, was du willst, du wirst doch nicht aufgenommen.« Damit wollten sie den jetzigen Zustand einbetonieren. »Wir sollen uns in eine Wagenburg zurückziehen.«

Muhammad Sameer Murtaza, Islamwissenschaftler und Mitarbeiter der Stiftung Weltethos des katholischen Theologen Hans Küng, beobachtet ebenfalls eine zunehmende Spaltung der muslimischen Gemeinschaft, auch bei seinen Studenten. Auf der einen Seite gebe es gut Integrierte. Auf der anderen ein Revival traditioneller Vorstellungen, als Reaktion auch auf erlebte Ablehnung. Viele wendeten sich dem Salafismus zu, manche radikalisierten sich in Richtung Gewalt. Allerdings habe das seit dem militärischen Sieg über den IS nachgelassen. Überwinden werde man die Radikalisierung nicht, indem man künstlich einen »deutschen« Islam schaffe. »Wir reden zu viel über Religion«, sagt Murtaza. »Stattdessen müssen wir überlegen: Was machen wir mit denen, die in der Schule scheitern und keinen Platz in der Gesellschaft finden?«

Islamisierung in der Dispora

Die Bildungsberaterin Tuelin Arslan, die lange am Zentrum für Türkei-Studien in Essen gearbeitet hat, erzählt eine andere Geschichte über Migration und Religion: Ihr Vater war frommer Muslim, aber Laizist, geprägt vom Kemalismus in der Türkei. Wie er fordert auch sie, Religionen als reine Privatsache aus dem öffentlichen Leben zu verbannen. Ihre Familie stammt aus Zentralanatolien, als sie zwei war, zog sie ins Rheinland. »Alle Muslime hier sind deutsch gefärbt«, glaubt sie. »Selbst Strenggläubige leben nach deutschem Vorbild.« Sie würden aber durch den Säkularismus ermuntert, der Religion einen zu großen Platz zu geben. »Die Islamisierung hat ihren Ursprung in Europa, sie ist eine Folge der Diasporasitution«, ist Tuelin Arslan überzeugt. »Als sie kamen, hatten viele Muslima einen Minirock an. Den Schleier haben sie erst hier angelegt.«

Als ihr Vater starb, sollte die Trauerfeier nach seinem Willen nicht in einer Moschee, aber im religiösen Rahmen stattfinden. Von der AWO, bei der sie für einen Raum anfragte, wurde sie jedoch an die Gülen-Bewegung verwiesen. »So werden wir von der deutschen wie der türkischen Seite genötigt, uns einer Religion unterzuordnen«, kritisiert Arslan.

Keine falsche Toleranz

Alhambra-Gründer Güvercin macht auch Linke und Liberale für das Erstarken des fundamentalen Islam verantwortlich. Mit falscher Toleranz und Verständnis selbst für rückständige patriarchalische Strukturen und ihren ständigen Warnungen vor »Islamophobie« hätten sie ihm den Boden bereitet. »Diese Aktivisten handeln entweder aus Naivität oder aus einem Beschützerinstinkt. Den brauchen wir nicht. Wir brauchen Unterstützung gegen die Orthodoxen.« Er will eigene liberale Organisationen schaffen. »Das Denken muss sich ändern. Wir Muslime müssen annehmen, dass wir in Deutschland angekommen sind. Die großen Verbände wollen das verhindern.«

Dennis Sadik Kirschbaum hat in Berlin mit anderen jungen Muslimen den Verein juma gegründet: jung, muslimisch, aktiv. »Wir sehen uns als deutsche Muslime«, sagt er. In dem Verein, der bereits einen Ableger in Baden-Württemberg hat, sind Anhänger der unterschiedlichen islamischen Konfessionen organisiert, Sunniten wie Schiiten, auch solche, für die Religion keine Rolle spielt, die sich aber dennoch als Muslime empfinden oder wahrgenommen werden. Man arbeite mit Jugendverbänden anderer Gruppen zusammen, die ebenfalls diskriminiert würden, zum Beispiel mit der jüdischen Jugend.

Andere wie Ali Utlu haben sich ganz vom Islam losgesagt. Er lebt offen als vom Glauben abgefallener Atheist und zudem Schwuler – für orthodoxe Muslime beides Todsünden. Deshalb erhält er ständig Morddrohungen übelster Art. Utlu gehört dem Zentralrat der Ex-Muslime an, der von der iranischen Oppositionellen Mina Ahadi bereits 2007 gegründet wurde und unter dem Motto »Wir haben abgeschworen« für Religions- und Meinungsfreiheit in den muslimischen Ländern kämpft. Menschenrechte seien unteilbar, sagt Utlu. Sie müssten auch für all jene gelten, die in einer muslimischen Kultur aufgewachsen seien.

Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Deutschland und führender Vertreter der Aleviten, der zweitgrößten Glaubensgruppe unter den türkischstämmigen Migranten, hat mit anderen eine Initiative Säkularer Islam gegründet. »Wir dürfen die Zukunft der muslimischen Kinder nicht in die Hände von Islamisten legen«, sagt er. Toprak engagiert sich in der CDU. Von Kanzlerin Merkel wird er mit anderen Kritikern des orthodoxen Islam hin und wieder ins Kanzleramt eingeladen, »aber Bundesinnenminister Seehofer und die Landesregierung verhandeln die Zukunft der deutschen Muslime lieber mit den Islamverbänden«. Seine Konsequenz: »Dann müssen wir säkulare und liberale Muslime uns eben selbst organisieren.«

(in Publik-Forum 03/2021)

Es sollte ungefährlich sein, Kippa zu tragen


Jüdische Organisationen rufen dazu auf, aus Solidarität mit den bedrohten, angegriffen Juden heute Kippa zu tragen. Doch ihr Zentralrat warnt, stattdessen lieber eine Basecap anzuziehten – ein erschreckendes Zeichen, wie aggressiv der Hass auf Menschen jüdischen Glaubens und jüd. Herkunft wieder ist – nicht nur, aber gerade bei zugewanderten Muslimen und Arabern. Weiterlesen